Der Mord einer Mutter an ihrer 15 Monate alten Tochter, familiäre Traumata, Rassismus, vorschnelle Urteile – Alice Diop greift in ihrem Spiel¬filmdebüt eine Vielzahl an herausfordernden Themen auf. Eine bemerkenswerte Arbeit, die Konzentration einfordert. Schauspielerisch stark!
Das Unfassbare passiert: Laurence Coly, eine junge Frau aus dem Senegal, legt ihr 15 Monate altes Baby ins Meer. Der Säugling stirbt. In der nordfranzösischen Stadt Saint Omer soll Coly der Prozess gemacht werden. Mord oder nicht – das ist die Frage. Zunächst. Im Gerichtssaal sitzt auch eine andere junge Frau: Rama. Die aus Paris angereiste Professorin und Schriftstellerin identifiziert sich mit der Angeklagten und will eine Reportage über den Prozess schreiben, in dem schon nach den ersten Aussagen klar wird, dass nichts klar ist... SAINT OMER lehnt sich an den Fall Kabou an, den die vielfach ausgezeichnete Dokumentaristin Alice Diop im Gerichtssaal verfolgte – so wie ihre Protagonistin Rama, die der Täterin aus dem Senegal als gleichfalls aus dem Senegal stammende Prozessbeobachterin gegenübergestellt wird. Die raffinierte Art, mit der Diop das Gerichtsdrama mit gegenwärtigen, postmigrantischen Diskursen outet, gehört sicherlich mit zu den beeindruckenden Leistungen des Films, der unterschiedliche Arten von Mutterschaft reflektiert. Welchen Wert hat die Schwangerschaft einer Migrantin und welche Frau kann es sich leisten, Mutter zu werden? Ein packender, intelligenter Film über universelle Fragen von Mutterschaft, Wahrheit, Ausgrenzung und das Verschwinden im Exil – ein unerschrockenes, modernes Drama unserer Zeit!
